Geben und Nehmen

By nielsbonde, 1st March 1996

Ausstellende:
Bitter-Weber, Bigert-Bergstroem, Niels Bonde, Tim Head, Kunstlabor, Katrin von Maltzahn, Mathilde MuPe, Daniela Plewe, Pokorny-Miler, Heidi Specker
Kuratoren:
Armin Medosch 
und Barbara Thumm
“Digerati, Infoprolls und Kevin sitzt im Knast”, Vortrag und Diskussion mit F.E.Rakuschan 
”Auto-automutilatie”, Video, Erik Hobijn 
”Shot in the Dark”, Performance von Hayley Newman

 

Die Teddybären beobachten uns
Kleine Stühle mit umgebauten Kameras und Gebisse mit Radiosendern sind Elemente der Kunst von Niels Bonde. Es geht um Überwachungsparanoia und eine ganze Kultur von Leuten, die verrückt nach neuen Technologien sind. Warum gibt es diese seltsamen Klickgeräusche im Telephon? Späht da jemand vom Haus auf der anderen Straßenseite herüber? Ich frage mich, ob eine Kamera hinter dem Spiegel installiert ist, vor dem man seinen Büstenhalter zurechtrückt oder Grimassen schneidet. Auf einem dunkelblauen Podium steht ein Kinderstuhl auf dem ein Teddybär sitzt, flankiert von zwei weißen Hasen. Hinter dem blinden Auge des Teddybären verbirgt sich das immer wachsame Auge der Kamera und die drahtlosen Radiosender übertragen alle Geräusche. Auf einem anderen Podium sind Objekte wie z.B transparente Tische, ein Paar Zahnprothesen mit rosafarbenen Plastikgummies plaziert, alle ausgerüstet mit Radiosendern. Ein Mülleimer, ein transparenter Hocker, und ein Paar gebrauchter Turnschuhe sind genauso mit Kamera und Sendern ausgestattet und das letzte Podium mit schwarzem Linoleum, Kabeln, Radios und Monitoren ist die “Überwachungszentrale”, wohin alles Gesehene und Gehörte übertragen wird.
Lächeln Sie bitte in die Überwachungskamera.
“Die meisten von uns verbinden eine unbestimmte Furcht mit neuen Technologien, weil wir sie nicht “lesen” können”, sagt Niels Bonde. “Wir wissen nicht wirklich, was passiert, wenn die Kreditkarte im Automat verschwindet, und wenn man ein wenig unsicher ist, hat man bald das Gefühl, daß die Dinge gegen dich sind. Ich versuche eine vertauschte Version dieses Unbehagens zu zeigen, ein paranoides Gefühl, daß die Dinge, der Tisch, der Mülleimer, die Schuhe, uns zusehen und zuhören. Diese Möbel mischen sich in deine Person ein. Eines der Dinge, das mich dazu inspiriert hat, ist eine recht paranoide Dame, die im Keller des Hauses wohnt, wo ich auch lebe. Sie rannte herum und fuchtelte mit ihren hieroglyphischen Aufzeichnungen, auf denen Dinge standen wie:”Anker Jørgensen und der Fleischer senden Radiowellen durch den Keller und versuchen, mein Leben zu kontrollieren”. (Anmerkung:Anker Jørgensen war Dänischer Kanzler in den siebziger Jahren) Und ich denke, es gibt mehr und mehr solcher Leute. Leute auf den Straßen, die alle möglichen Arten von Erklärungen abgeben, wie sie von Lasern und Radiowellen beeinflußt werden, so als ob neue Technologien bei Leuten mit psychischen Problemen etwas ganz bestimmtes auslösen würden”, meint Niels Bonde.
Doch es gibt viele Ebenen, es handelt sich auch um ein gesellschaftliches Problem von Kontrolle, Rechten und Freiheiten. Es ist verrückt, daß
Videoüberwachungskameras überall aufgestellt werden sollen und man fühlt sich eben ziemlich unbehaglich, wenn man identifiziert wird und in das schwarze Kameraauge lächeln soll, wenn man seine Post abholt oder das Auto parkt. Das bringt Niels Bonde zum Ausdruck. “Wenn du merkst, daß jemand dich beobachtet, entsteht eine irrationale Unsicherheit. Es gibt keine Logik in diesen Dingen, denn zum selben Zeitpunkt träumen wir davon, eine Fliege auf der Mauer zu sein, weil wir glauben, dann die Wahrheit erkennen und erfahren zu können. Aber was ist mit denen, die dasitzen und sich diese Bilder ansehen. Die, welche die Bilder auf den Überwachungsmonitoren ansehen, was ist eigentlich mit denen? Kümmern sie sich wirklich um das, was sie sehen oder machen sie bloß Channel Surfing?” Wir haben uns alle von Filmen in Spannung versetzen lassen, in denen der Staat, ein Verrückter oder ein Nachrichtendienst Mikrophone installiert und uns überwacht hat. Wir kennen dieses Gefühl, daß jemand weiß, was wir tun, wenn wir allein sind. Doch Niels Bonde geht es nicht nur um die Angst vor der Überwachung und um neue Technologien, es geht ihm auch um die Fasziantion, Kontrolle über neue Technologien zu haben.
Wir sind eine Kultur großer Jungs.
“Da ist immer diese Dualität. Denn wir sind zur selben Zeit ängstlich und bewundern dennoch die Maschinerie und das, was sie tun kann. Es steckt ein Junge in uns, einer der sich darüber freut, die Maschinen dazu zu bringen, das zu tun, was wir wollen. Vieleicht sind wir eine Kultur großer Jungs im Neuheitswahn: Alles Neue ist gut und aufregend. Es ist ein wahrgewordener Traum von Kontrolle über all diese elektronischen Beigaben. Ganz so wie bei James Bond und Herrn Q, der jede Krise mit einem Lächeln und einer schlauen Intervention beilegt. Die neuen Medien können etwas tun, das herauszufinden aufregend ist. Wenn ich in die Technologie eintauche, bekomme ich manchmal das Gefühl:”Mein Gott, sie dir an, was das alles kann!” Es gibt Macht, das auslösen zu können. Da ist also dieser Gegensatz: Wir wollen nicht von den Computern und Telefonanrufbeantwortern ablassen, doch gleichzeitig steigern sie die Angst und den Adrenalinausstoß, so daß die Trennung zwischen Kontrolle und kontrolliert werden nur sehr sehr dünn ist. Ich denke, daß hier eine Inkompatibilität liegt und das ist es, was ich überprüfen will. Ich habe keine Lösung, doch als Konsequenz dessen, daß ich Bilder dafür gefunden habe, ist es für mich weniger problematisch
” Die Dänen sind nicht nervös.
Obwohl Niels Bonde nicht glaubt, daß es jemanden gibt, der die totale Überwachung aktiv vorbereitet, macht es ihn dennoch besorgt, daß die Dänen so unkritisch sind. “Wenn ich meinen Freunden in Deutschland von der Idee der Bürgerkarte erzähle, (Anmerkung: Eine Chipkarte, die Zugang zu Informationen gibt, die von den Behörden gesammelt werden) dann denken diese Freunde, das wäre beinahe schon stalinistisch. Doch die Dänen haben keine problematischen Erfahrungen mit totalitären Regimes, also denken sie, das wäre alles spaßig und unproblematisch. Ich glaube nicht, daß es jemanden gibt, der die reale Intention hat, eine Art übergeordneter totaler Kontrolle zu schaffen, doch die technischen Möglichkeiten existieren. Wenn alle Informationen digital vorhanden sind, dann braucht es vielleicht zehn Sekunden, um verbotene Wörter auszusondern. Und wo ist die Grenze? Wenn der Vorschlag käme, die Strafgefangenen sollten elektronische Halsbänder bekommen, sodaß man sie nicht einsperren müßte, sondern sie zu Hause überwachen und disziplinieren könnte, wäre das dann eine gute Idee? Denn wenn es genügend Technik gäbe, könnten wir alle permanent unter Überwachung stehen und dann sind wir theoretisch schuldig, es ginge nur mehr darum, herauszufinden, welcher Verbrechen wir schuldig sind.”
Kunst um das Unbehagen aufzuheben.
Niels Bonde’s Podiums sind voller Elektronik, Plastik und Kabel. Die Podiums haben helle Farben, sie sind blau, orange, und grün, die Möbel sind durchsichtig und man kann die Überwachungstechnik die ganze Zeit sehen. “Ich habe eine gestylte künstliche Realität geschaffen und alles sehr übertrieben, um zu zeigen, daß es verschiedene Schichten und Ebenen gibt. Denn sonst würde es aussehen, als wäre alles nur zum verzweifeln und wir würden in der Hölle enden. Zugleich bin ich selbst der Voyeur und das Opfer, ich bin fasziniert und verunsichert von diesen Dingen. Ich habe keine kurze Antwort, doch was Kunst tun kann, ist die Elemente rundherum zu verändern, und es weniger ernst zu machen. Es ist ein unangenehmes Thema, wobei ich Humor benutze, um es aus dem Weg zu räumen oder zu entwaffnen und die Luft rauszulassen”.
Text: Susanna Maria Sommer
Übersetzung: Armin Medosch

>Dauererregung< und >Gegenwart< sind Schlüsselbegriffe zum Verständnis einer kulturellen Logik, die heute in allen Bereichen des menschlichen Lebens an Bedeutung gewinnt. Sie tritt im Zusammenhang mit neuen Kulturtechniken auf, die den Erwartungshorizont in das nächste Jahrhundert erweitern und ebenso unseren Blick auf das Entstehen von Ideenevolutionen in der Vergangenheit schärfen. Die Namen reichen von den Pyrrhonisten über Kant bis Nietzsche; von den Gestaltpsychologen bis zu Piaget und der kognitiven Psychologie usw. Was heute längst zur Bewältigung unserer Alltagspraxis gehört, wurzelt im tiefgreifenden Paradigmenwechsel der sog. >Probabilistischen Revolution< des 19. Jahrhunderts, die die Wahrscheinlichkeit und den Zufall in der Natur zu ihrem Gegenstand machte und in die div. Disziplinen einführte. Die Relevanz dieser Sichtweise gewann aber erst in der sog. Kopenhager Deutung des quantenphysikalischen Indeterminismus voll an Bedeutung. Die Quantenmechanik ist heute die Grundlage für fast die gesamte aktuelle Wissenschaft und Technologie. Sie bestimmt das Verhalten von integrierten Schaltkreisen, die wesentlichen Bausteine elektronischer, computervermittelter und post-biologischer Systeme und bildet ebenso die Basis der modernen Chemie und Biologie.
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Zwischen der Textstelle aus Nietzsches fünftem Buch aus ªDie Fröhliche Wissenschaft´, mit dem Titel ªWir Furchtlosen´, “in der Tat, wir Philosophen und >freien Geister< fühlen uns bei der Nachricht, daß der >alte Gott tot< ist, wie von einer neuen Morgenröte angestrahlt (…) endlich dürfen unserer Schiffe wieder auslaufen, auf jede Gefahr hin auslaufen, jedes Wagnis des Erkennenden ist wieder erlaubt, das Meer, unser Meer, liegt wieder offen da” und einer anderen Textstelle aus ªProbability Pipeline´ von den Autoren Marc Laidlaw und Rudy Rucker, liegen immerhin zirka 100 Jahre, das Lebensgefühl, daß sie vermitteln ist aber unübersehbar identisch: “Auf der anderen Seite des galaktischen Rads befand sich eine gleißende Gestalt im selben Raum. Sie kam geradewegs auf sie zu. Reiter auf den Gezeiten der Nacht, Schnitzer von Schwarzlochstränden und Neutronenröhren. Tief gebückt auf seinem leuchtenden Brett – elegant, gelassen, nicht menschlich…>Mann< rief Jen, >Gott ist Surfer!<” (Ebendiese: Probability Pipeline. In: Synergy 2, San Diego 1987)
Also, etwa 100 Jahre nach der Feststellung von Nietzsche, daß der >alte Gott tot< ist, findet die Auferstehung eines >neuen Gottes< als Surfer statt. Wurde der Mensch laut Bibel nach dem Ebenbild Gottes geschaffen, so ist es nur folgerichtig, daß die Vorstellung von Gott immer wieder upgedatet werden muß. Nach aktuellem Wissensstand könnte man Nietzsches Feststellung >Gott ist tot< in etwa interpretieren, als Abkehr an die Verheißungen im thermodynamischen Gleichgewicht – das ja physikalisch Totsein bedeutet – und als Hinwendung zum >chaotischen Attraktor< in dynamisch-komplexen Systemen. Nicht zufällig lautet ein anderer oft zitierter Ausspruch von Nietzsche: “Man muß noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.”
Nietzsche postulierte – und zwar gegen den nur historisch wissenden und erinnernden Geist a’ la Hegel, gegen einen bloß positivistischen Wirklichkeitsbegriff – einen relativierenden Perspektivismus mit der Kategorie des >Jetzt<, um damit kulturell produktiv zu werden. Nietzsche legt damit schon den Strang vor, an dem Walter Benjamin, die Dadaisten und die Surrealisten mit der modernen Wiederentdeckung der Romantik – sebstredend unter geänderten Vorzeichen – anschließen werden.
“Die Rezeption in der Zerstreuung, die sich mit wachsendem Nachdruck auf allen Gebieten der Kunst bemerkbar macht und das Symptom von tiefgreifenden Veränderungen der Apperzeption ist, hat am Film ihr eigentliches Übungsinstrument”, schreibt Walter Benjamin in ªDas Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit´ ( erstmals erschienen 1936, übrigens in franz. Übersetzung). Allein dieser Satz – nochmals gelesen im Zeitalter der technischen Generierbarkeit – ist schon erhellend, fragt man nach dem Apperzeptions-Setting eines Datensurfers zwischen Computer-Eingabedeck bzw. Maus, Monitorbild, den >Universal Resource Locators< (URLs), Domain-Namen, IP-Adressen und Datenfülle einerseits und dem vermaschten Netzwerk der Telefonleitungen andererseits, die ihn mit Knoten, Servern und zahllosen Usern verbinden.
Die Götter, sprich Väter, der computernden Futurekids heißen heute Nintendo, Sega und Sony. Die Sozialisation dieser Generation erfolgt dennoch nicht – oder gerade deswegen – in allen Fällen so geradlinig, wie es die Erwachsenen gerne hätten. So manches dieser Kids entwickelt Fähigkeiten und Haltungen, die dem – früher oder später unumgänglichen – Vollzug des >Vatermords< eine zeitadäquate Form geben. Viele junge Hacker entsprechen heute längst nicht mehr dem Bild von der blasen, neurotischen, kontaktarmen Existenz, wie es in den 70ern geprägt wurde und in den Köpfen des Normalbürgers weiter herumgeistert. Hacken gilt heute als Kulturtechnik, Kampfprinzip und Lebensform mit einer eigenständigen Ethik. Hacken kann nicht einfach mit >brain-crime< gleichgesetzt werden. für die Aufrechterhaltung von >information wants to be free<, wie die allem Hacken zugrundeliegende Losung heißt, muß schon einiges getan werden. So verfügen Hacker, die sich fallweise auch in Gruppen zusammenschließen, über umfangreiche >warezes< und >kodezes<, schicken >softbots< auf die Infobahnen oder bohren – wenn es sein muß – mit >IP-spoofing< und speziellem >rootkit< durch >firewalls<. Und in einem sollte man sich unbedingt im klaren sein: Einzig diese junge Generation der Cybernauten hat die partizipatorischen Optionen der technologischen Evolution als Herausforderung begriffen, und nur diese Generation bürgt für das Egalitätsprinzip in der künftigen Informationsgesellschaft.
Daß man für dieses Prinzip, wie schon in der Vergangenheit, weiterhin kämpfen wird müssen, zeigen aktuelle Maßnahmen und Statements, wie sie auf Regierungsebene div. Länder verlautet werden. So hat bspw. die Clinton-Regierung im März ’96 den sog. >Communications Decency Act<, kurz CDA, erlassen. Ein Gesetz, das Sitte und Anstand (!) im Datenverkehr regeln soll. Der Gebrauch von Vokabeln bspw. wie etwa shit und fuck soll neben anderen damit allen Ernstes unterbunden werden. Spontan gefragt: Haben die noch alle Tassen im Schrank? (Tausende US-Bürger haben inzwischen gegen das Gesetz Klage eingebracht.) Nach den voreiligen Aktionen der bayerischen Justiz Ende ’95, müssen auch die Herren in Bonn ihren Senf zu diesen Fragen dazugeben (als ob die nicht weitaus größere Probleme hätten). Während sich der Justizminister Edzar Schmidt-Jortzig in seinen Ÿußerungen zu diesen Fragen auffallend vernünftig und moderat verhält, möchte Innenminister Manfred Kanther die Freiheit im Internet per Gesetz lieber heute als morgen abschaffen.
Kurze Zwischenbilanz, was unser Verhältnis zum Internet anlangt: Einerseits verbindet es uns mit virtuellen Gemeinschaften, andererseits läßt es uns allein vor dem Bildschirm Kollektivität nur sehr vage erleben; einerseits bereichert es unsere sozialen, politischen und privaten Lebensbereiche durch den freien Fluß von Ideen in den weltumspannenden Computernetzen, andererseits bedroht es uns als Werkzeug zur Durchsetzung des Konzepts vom perfekten Chip-Bürger durch Staat und Kapital mit der Aussicht auf Verhaltenslenkung und Massenkontrolle. Frage: Geben wir letztendlich mehr als wir bekommen?
Die Konsequenz aus all dem in bezug auf unser Denken und Verhalten schaut vorerst so aus. Regel 1: Endgültiger Abschied vom Substanzdenken; die Substanz ist längst durch Funktionalität ersetzt. Regel 2: Subjektzentrische Phantasmen wie, man könne einen Ozean in den Griff bekommen, als ein solches erkennen. Regel 3: Stattdessen mehr auf die Wellenbewegungen rundum achten, denn dann – ja dann – surft man ganz gut auf dem Wellenkamm dahin. Und Regel 4, brandaktuell: Cypher wie Chiffre und Verschlüsselungstechniken sind angesagt; und nur mehr Postfachanschriften angeben.
Unsere Welt heute, die sog. postindustrielle Welt, ist eine komplexe Hybride (Bastard), ein vermaschtes Netzwerk, das sich aus dem biologischen und technologischen Genpool speist. Eine Welt in der sich die organisch-psychischen Systemkomplexitäten der Spezies Mensch in der Dichotomie von Hedonismus und technischer Rationalität dahin-channeln und wo Begriffe und Werte nicht dem Geschehen die Richtung weisen, sondern seine Funktionen sind. Kommunikation und Information, immer schon Evolutionsfaktoren, avancieren heute im Spannungsfeld zwischen biologischer und technologischer Evolution zur bedeutendsten Produktivkraft in der sog. Informationsgesellschaft.
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Während wir, etwa face to face, Gespräche führen oder einander vielleicht online in der Infosphäre begegnen, feuern blitzschnell in korrelierten Schwingungen Neuronen, die in je unseren Gehirnen Zusammengehörendes repräsentieren. Dabei sendet jede Pyramidenzelle Signale an zirka 10000 andere Pyramidenzellen, die ebenso Botschaften senden und empfangen. Sie erregen sich gegenseitig über dünne Nervenfortsätze. Wegen ihrer Form werden sie Pyramidenzellen genannt. Genaugenommen sind es dicht gepackte Neuronen, die großteils unseren Cortex bilden.
In unseren Köpfen geht es zumeist schwer ab, auch dann, wenn wir uns – etwa allein in einem Raum, ja sogar im Schlaf – nicht kommunikativ verhalten. Denn auch innere Dialoge sind an Erfahrungen interpersonaler Kommunikation orientiert und prozessieren nach dem selben Muster. Nach aktuellen Einsichten der Neurowissenschaften basieren mentale Prozesse auf neuronalen Netzwerken, wo parallel arbeitende Ensembles von Nervenzellen permanent multidimensionales Zersplittern und mosaikartiges Wiederherstellen von sog. mentalen Repräsentationen erzeugen. Denken und Fühlen muß dabei in einem dynamischen Zusammenwirken verstanden werden. Luc Ciompi, der in seiner Disziplin der Psychologie eine radikal konstruktivistische Position einnimmt, hat dafür das >affektiv-kognitive Bezugssystem< als zentralen Begriff seiner Affektlogik eingeführt.
In einer dahingehenden Psychotherapie liegt die Problemlösung innerhalb von vernetzten Strukturen von vielfältigen Teilkomponenten eines >Selbst<. Weniger von Bedeutung ist bspw. der >Inhaltsaspekt< von Kommunikationen den Klienten betreffend, sondern weitaus mehr der >Beziehungsaspekt<, d.h. die Art der Verknüpfung der Elemente. Sie können über den Informationsfluß innerhalb einer Beziehungsstruktur, die den Klienten mit ihm nahestehenden Personen verbindet, Aufschluß geben. Konflikte zeigen sich vor allem dort, wo das Wechselspiel von Geben und Nehmen, das jede kommunikative Handlung – im Normalfall unbewußt – formiert, in Turbulenzen geraten ist.
Diese Probleme können etwa in der Konfusion von Inhalts- und Beziehungsaspekt von Kommunikation (in der Folge: KM) liegen; in Übersetzungsfehlern zwischen digitaler und analoger KM auf der Ebene der menschlichen KM; bis hin zu Problemmustern, wie sie sich in symmetrischen und komplementären Interaktionen ausbilden können. Dahingehende Problemlösungen zielen ganz allgemein darauf, das kommunikative Wechselspiel von Geben und Nehmen wieder in Gang zu bringen. Nicht mehr und nicht weniger.
In Politikerreden oder etwa beim Propagieren zur Einführung sog. neuer Technologien kommt der Begriff der KM heute zunehmend mehr als Ideologem zum Einsatz. Die Wortwahl suggeriert dann, daß die Herstellung von Konsens zu den wichtigsten Leistungen der KM zählt. Daraus könnte man wiederum den falschen Schluß ziehen, daß redundante Mitteilungen der KM besonders förderlich wären. Das Ergebnis wäre allerdings unerträgliche Langeweile, da die dem KMsanschluß unabdingbare Erregung, sprich Differenz, fehlt.
Fraglos verhilft uns die Redundanz zu einer gewissen Stabilität hinsichtlich der Wirklichkeitsvergewisserung und wir erfahren sie als verbindliche Verhaltungsgrundlage. Sie schafft über die Schranken des je individualisierten Bewußtseins den Eindruck von Objektivität, der Richtigkeit normativer Verhaltensvorgaben usw.
Die relevante Leistung der KM liegt aber in der Sensibilisierung des betreffenden KMssystems für Zufälle, für >noise< jeglicher Art. KMsangebote beinhalten grundsätzlich immer Annahme- und Ablehnungsmöglichkeiten. Der Anschluß von KM an weitere KMsverläufe wird vorrangig durch die Produktion von Differenz begünstigt. Unser Bewußtsein, also der Operationsmodus eines psychischen Systems, hat auf die systemeigene reflexive Produktion von KMen in KMssystemen allerdings keinen wie immer verstandenen intentionalen Einfluß.
Zirkulierende KMsangebote werden in der System-Umwelt zu Themen ausdifferenziert. Als solche gelangen sie in KMen und produzieren Ereignisse, die systemintern als Informationen weiter verarbeitet werden. Die selbstreflexive Selektion des Systems selbst – und nicht ein externer Beobachter – schafft Ordnung im Sinne reduzierter Komplexität und hält durch das permanente Relationieren der Systemelemente die Reproduktion im Gang. Diese Elemente sind keine Seins-Einheiten, sondern Bezugsmomente der Verknüpfungsweise des Systems, das sich dadurch reproduziert. In der Sichtweise einer allgemeinen Systemtheorie bestehen soziale Systeme aus KMen und deren Zurechnung als Handlung. Das eine ohne das andere ergäbe keine sozio-kulturelle Evolution. (s. dz. Niklas Luhmann: Soziale Systeme. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1987.)
für das Verstehen dieser sehr komplexen Sachverhalte ist es unbedingt erforderlich, die Systemebenen von psychischen und sozialen Systemen nicht zu verwechseln. Bewußtsein und KM stehen zwar in einem konnektivistischen Verhältnis, das aber nur in der Unterscheidung beider als je eigene dynamische Komplexität verständlich wird.
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Fünfzig Tage lang jagte der Sicherheitsfachmann Tsutomu Shimomura den Hacker Kevin Mitnick. Bei seiner Verhaftung soll Mitnick im Vorbeigehen zu seinem Jäger gesagt haben: “Meine Hochachtung für dein Können.”
F.E.Rakuschan